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Zufällige Begegnungen

Zufällige Begegnungen

Künstlerische Arbeit

Ähnlich wie Menschen in einem (Berg-)Hotel zufällig aufeinandertreffen und von diesen zufälligen Begegnungen nachhaltig berührt werden, spielt der Zufall in meiner künstlerischen Arbeit eine wesentliche Rolle.

Es ist immer wieder der Zufall, der in der Auseinandersetzung mit Räumen und Strukturen, Traditionen und Kontrasten Unterschwelliges an die Oberfläche holt und vor Formalismen bewahrt. Die zufälligen Begegnungen sind immer wieder die verändernden und entscheidenden Kräfte im Rahmen einer sonst ziemlich systematisch angelegten künstlerischen Recherche.

Der Zirmerhof ist ein historisches Berghotel. Sein spezieller Charakter und Reiz beruhen nicht zuletzt auf einem raffinierten Zusammenspiel von Gestaltetem und Gewachsenem. Der Zirmerhof sitzt wie auf einem Kulthügel. Innen öffnet sich regelrecht ein Kraftfeld in Holz, so in der alten Stube oder auch im großen Speisesaal mit dem Fresko von Ignaz Stolz oder im Empfangsbereich mit dem noblen „Teppich“ aus raffiniert verlegten Lärchendielen. Außen hingegen wirkt der Kontrast zwischen den eingefärbten und den naturbelassenen verwitterten Hölzern der Architektur. Behandelte und unbehandelte Elemente setzen sich gegenseitig in Szene. Die typischen ockerfarbenen, oxidroten und kalkweißen Anstriche aus der Farbtradition der Jahrhundertwende kontrastieren mit einer rohen unbehandelten Materialität, hinzu kommt die Kombination mit dem Naturstein aus der Umgebung, dem Porphyr. Diese Kombination ist ein Charakteristikum der hochalpinen Tourismusgebäude der Epoche, nicht nur in Radein, sondern beispielsweise auch in Toblach, am Karerpass oder im kleineren bäuerlichen Maßstab in Karthaus im Schnalstal.

Neben den ortstypischen Gerüchen und Geräuschen sind es die Farbumgebungen, die das sprichwörtliche „Lokalkolorit“ eines Ortes ausmachen. Ocker, Oxidrot, Kalkweiß, Farben bzw. Pigmente aus der Erde, fein gemahlene Minerale oder Gemische aus dem Boden: Solche Erdpigmente waren meistens in der unmittelbaren Umgebung vorzufinden, leicht zu gewinnen und wurden deshalb häufig verwendet. Vermischt mit Firnis und Terpentin ergab sich daraus eine optimale Holzlasur, vermischt mit Kalkwasser eine perfekte Farbtünche. So sind in unterschiedlichen Gegenden entsprechende Farben und Putze an den Architekturen vorzufinden, beispielsweise ein aus verkohlten Trestern gewonnenes Rebschwarz zur grafischen Rahmung von Fensteröffnungen oder das Eisenoxidrot auf den Schindel-Dächern der Kirchtürme. Gebrannte Erde, auch ein weit verbreiteter und natürlicher Farbton, entsteht durch ein Hitze-Verfahren, das den natürlichen grau-grünen bis grau-bläulichen Erdton in das Rot gebrannter Ziegel oder Ton-Gefäße verwandelt. Manchmal tragen die Erdpigmente auch noch den ursprünglichen Herkunftsort in ihrer Bezeichnung, so etwa Terra di Siena, Terra di Pozzuoli oder auch der aus Mineral gewonnene und bekannte Schlern-Kalk der weißen Mauertünche. Grundsätzlich bin vorsichtig geworden, wenn von Farbe die Rede ist. Die Erfahrung hat mich gelehrt: Farben vor Ort unterscheiden sich grundlegend von den Farbskalen im Kopf. Farben vor Ort ergeben sich aus Referenzstimmungen. Farbskalen im Kopf hingegen treffen meistens auf sehr individuelle Vorstellungen von (Dekor)Farben. Das ist dann wiederum nicht unbedingt das, was ein bestimmter Ort verlangt.

Die gewachsene Architektur eines hochalpinen Traditionshotels ist auch ein Stück Alltagskultur, das es zu lesen und zu erforschen gilt. In diesem Zusammenhang muss ich unmittelbar an die Wäscherinnen aus den Geschichten des großartigen Erzählers Péter Nádas denken, daran, wie sich diese Wäscherinnen feinsinnig über die Flecken im Tuch auf die Spuren von Geschichten und Fantasien begeben... Man kann sich den Waschtratsch perfekt vorstellen und auch wie die Wäscherinnen so ganz nebenbei die Wäsche wieder in einen gewünschten „monochromen“ Zustand bringen. Und es kommt mir auch wieder jener Artikel in den Sinn, in dem sich Karl Lagerfeld über das Bügeln eines Hemdes ausbreitete... Ein Hotel hat immer auch mit Wäsche zu tun.

Auf der Suche nach den Knittern und Falten in der Architektur tauchen Erinnerungen an meine frühen Zeichnungen auf, an langwierige Studien rund um ein einziges Objekt, wie etwa ein welkendes und schließlich verdorrendes Blatt. Eine wesentliche Erfahrung. Denn ohne die Erfahrung dieses (Auf)Zeichnens würde meine Arbeitsmethode heute wahrscheinlich eine andere sein. Immer noch breiten sich die zu analysierenden Dinge vor mir aus wie auf einem Seziertisch. Auch dann, wenn es sich um so große Formate handelt wie das meterweise Aufgebot an Balkonen von der Hausfront des Zirmerhof mit ihrer charakteristischen Ornamentik in den Holzfüllungen. Wie ich diese Dekore ins Visier nehme, beginnt auch schon ein Prozess der Dekonstruktion des Musters und seiner Konnotationen. (Nie ist etwas nur Dekor). Zum Schluss kommt dann nichts Neues hinzu, sondern wird das Motiv einfach im Rhythmus seiner Fraktale als abstrakte syntaktische Struktur neu ausbalanciert.

Mein künstlerischer Werdegang begann eigentlich in den Medien Grafik und Malerei. Ausschlaggebend für das Abstreifen des Malereidiskurses zugunsten einer Hinwendung zum Raum und zur Baukunst war sicherlich ein grundsätzliches Interesse an der Architektur. Der konkrete Auslöser aber war ein mehrmonatiger Aufenthalt in Spanien im Jahre 1992. In dieser Zeit wurde mir nach und nach bewusst, wie Materialien und Farben ein Land „besetzen“, was etwa Madonnen-Blau bedeutet oder wie in der großen Stierkampfarena von Ronda eine verhältnismäßig kleine leuchtend rote Muleta den Kampf anheizt, von der Wirkung eines blutüberströmten tiefschwarzen Kampfstiers ganz zu schweigen... Sukzessive begann ich angelernte Gewohnheiten und Klischees im Umgang mit Farbe zu hinterfragen. Ich selbst musste erst einmal die akademische Farbskala und das akademische Formenvokabular ablegen, um den Blick für die inhaltliche Dimension von Farbe frei zu haben. Rotsehen ist in Venedig etwas anderes als in Moskau. Im Verlassen meines Terrains und der gewohnten Umgebung entdeckte ich die eigentliche Basis aller Malerei. Ich beschäftigte mich dem „Lokalkolorit“, sichtete Erdpigmente wie Goldocker oder gebrannte Erde und gewahr insbesondere das allgegenwärtige blendende Kalk-Weiß. Mit diesem hat es in den weißen Dörfern von Andalusien – den „Pueblos Blancos, aber auch in vielen anderen südländischen Ländern seine besondere Bewandtnis: die Farbe wird nicht nur wegen ihrer Assoziation zu Reinheit und Sauberkeit oder ihrer die Sonnenstrahlen reflektierenden und damit die Häuser vor Hitze schützenden Eigenschaft eingesetzt, sondern zudem wegen der desinfizierenden Wirkkraft des Kalks (was insbesondere in der Pestzeit wichtig war). Auch in unserem Land war oder ist es noch üblich, Vieh-Ställe weiß auszukalken. In manchen Orten im Burgenland werden zu Pfingsten einem Brauch folgend die Häuserfassaden frisch gekalkt: weiß erweckt die Idee der Reinheit, ist sie doch die hellste aller Farben und farbphysikalisch gesehen keine Spektralfarbe sondern ein Gemisch aus Farben und leuchtend wie die Sonne...
Aus all diesen Erfahrungen, Inhalten, Beobachtungen und Geschichten entwickelte sich eine Neugier über die Grundstoffe der Kolorierung im Allgemeinen. Es sind Beispiele, wie Farbwirkung, Inhalte und Farbtraditionen miteinander eng verbunden sind und teils bewusst wie unbewusst in mein Werk einfließen. Meine Arbeit kreist also um das „Erfassen“, „Wahrnehmen“ und „Begreifen“ von Materialien, Bildern, Formen und Topoi in kulturellen Räumen. Das alles hat mit einer - über den Farbton hinaus - differenzierten Sehweise zu tun oder, wie es Ad Reinhardt ausdrückt: „Sehen ist schwieriger als es aussieht“.

Hochalpine Hotelarchitekturen aus der Jahrhundertwende oder dem frühen 20. Jahrhundert sind Konstellationen aus Alltagskultur, Folklore und dem Transfer künstlerischer Stile und Experimente aus den mitteleuropäischen Zentren. Ich muss in diesem Zusammenhang an das Hotel Drei Zinnen in Sexten denken, an die Originalität und Intimität seines Interieurs aus der kongenialen Zusammenarbeit des Architekten Clemens Holzmeister und des Malers Rudolf Stolz. Ein Maler, der sich angesichts dieser Aufgabe der Herausforderung eines räumlichen Farbkonzeptes stellte, von der Illusionsmalerei zum Farbdesign für die Ausstattung wechselte. Ein künstlerischer Schwenk für mich mit Wiedererkennungswert. Ob sich die beiden Gestalter wohl über die künstlerischen Bewegungen der Zeit unterhielten? Über Futurismus oder Bruno Taut, über Oskar Schlemmer oder Bauhaus? Im Raum steht hier für mich jedenfalls die immer noch zentrale Frage nach einer möglichen Verbindung von Regionalität und Globalität...

Im Rahmen einer künstlerischen Intervention geht es mir nicht darum ein Gebäude einfach nur optisch ansprechend zu gestalten. Thematisiert wird vielmehr ein inhaltlicher und kontextueller Zusammenhang von Farbe und Baukörper, von Farbe und Raum. In diesem Sinn geht es darum, die Geschichte(n), die Materialität, die Umgebung der jeweiligen Farbwelten zu hinterfragen, dazu gehören auch die Farbtraditionen der Alltagskultur. Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die anonymen, d.h. ohne Mitwirkung professioneller Gestalter entstandenen Farbanstriche in der Architektur, die vorgefundenen traditionellen Varianten einer Farbumgebung. Erhellend sind auch die Symbole und Zeichen aus der Alltagskultur, wie etwa das Bild jenes Bauern und Pensionsinhabers aus Schenna, der seine Gäste mit dem Auto am Meraner Bahnhof abholte und als Erkennungsmerkmal die typische blaue, frisch gewaschene Bauernschürze trug. In meiner künstlerischen Arbeit begreife und verwende ich Farbe als ein Medium, um mit der Farbe selbst zu bauen, um mittels der Farbe und den Farbrhythmus die Struktur eines Gebäudes, sein räumliches Prinzip zu konkretisieren und herauszuarbeiten. Eine künstlerische Intervention ist letztendlich Kommentar und Betonung, fein wie ein Lidstrich, subtil abgestimmt oder aufregend wie ein Lippenstift. (Text von Marion Piffer Damiani basierend auf einem Gespräch mit Manfred A. Mayr)

Manfred A. Mayr
Künstler